Sogar nach Salzburg habe ich mich dann noch getraut, obwohl mir alles Angst macht, was potenziell unberechenbar und dann noch mit vielen Menschen ist. Hermine schlief während der Fahrt mit Kopf auf dem Fußbrett:

Die Prüfung in Österreich hatten wir sehr gut bestanden. Da waren wir richtig stolz auf uns, war ich doch am Morgen so aufgeregt, dass ich noch geweint hatte. Zuhause angekommen ist sie nach einem Rundgang durch die Wohnung mitten drin umgefallen und eingeschlafen. Natürlich mit ihrem Teddy.

Zuhause hat sie sich gut eingelebt und verfolgt mich auf wie ein Schatten. Sie ist immer dabei, entweder direkt am Rolli oder in Sichtweite. Beim Duschen, auf Klo, beim Essen, beim Schlafen, beim Anziehen: Sie ist fast nie weiter als 3 Meter entfernt.

Und sie holt sich ihre Decke immer dahin, wo sie liegen möchte. Einmal sogar ins Bett, obwohl da eigentlich genug Decken sind.

Außerdem findet Hermine, dass sie als Assistenzhund auch gelagert werden sollte. Das scheint so bequem zu sein, dass sie direkt schnarchend einschlummert. Entweder nur Kissen zwischen die Beine oder noch besser: Ein langes Kissen unter die Seite, so dass sie halb auf dem Rücken liegt und zusätzlich zwischen die Beine.

Auch sonst ist sie froh, dass sie hier nur Co-Assistentin ist und immer auch menschliche Hilfe in der Nähe. Einmal steckte Hermine selbst unter dem Sofa fest, aber meistens kullert ihr Leucht-Ball unter das Sofa oder das Bett und sie steht fiepend und bellend hilflos davor. Dann muss eine der Helferinnen auf den Boden kriechen und aus meiner Perspektive gucken dann erstmal nur noch zwei Popos unter dem Sofa/Bett hervor – einer davon mit aufgeregt wedelndem Schwanz.

Beim Bürsten kommen so viele Haare aus Hermine heraus, dass vermutlich sämliche Vogelkinder im Umkreis darin aufwachsen:

Apropos Tierkinder! Hermine hatte vor drei Wochen ein Eichhörnchenkind gefunden, welches reglos auf der Seite lag. Wir dachten, es wäre tot, aber bei näherem Anschauen bewegte es sich noch schwach. Wir haben es warm eingepackt und mitgenommen und beim Tierarzt war es schon wieder fitter. Es war wohl von Durchfall geschwächt vom Baum gefallen und hatte sich dabei noch die Vorderzähne abgebrochen. Dann hat die Kälte ihm den Rest gegeben. Aber beim Tierarzt konnte es sich schon wieder selbst festhalten und kam in gute Betreuung.

Auch sonst erleben wir viel auf unseren Spaziergängen. Ich selbst lebe durch meine Wahrnehmungsstörung auch im Moment und habe kein durchgehendes Zeitgefühl. Da passen wir perfekt zusammen, denn Hunde erleben die Welt nicht anders. Wir entdecken Wildpfade, Wildschweinkuhlen, rauschende Bäche, große Flüsse, Schlammtümpel mit Fröschen drin und so unendlich viel. Ich bin noch oft traurig und wütend, dass ich nicht mit Hermine zusammen durchs Unterholz kriechen und im Wasser spielen kann. Am liebsten würde ich mit ihr querfeldein stundenlang wandern gehen. So muss ich leider oft auf den großen Wegen bleiben. Mein Rollstuhltechniker ist so schon kurz vorm Nervenzusammenbruch „Waren Sie wieder im Gelände?“

Wenn das Geld mal ist, gibt es auf jeden Fall einen Geländerolli! Mein Transformer- Monstrum ist doch eher für Parkett und Asphalt gedacht. Aber wir reizen die Grenzen voll aus ;-)

Flexileine hatte uns alle so genervt und Hermine wollte rennen, da haben wir es dann nicht ausgehalten und lassen sie auf den öffentlichen Freilaufwegen rennen. Sie sprang erstmal breit grinsend im Kreis durchs hohe Gras und galoppierte wie ein kleines Fohlen eine Runde nach der nächsten. 

Schwimmen klappt auch ganz gut. Sogar apportieren kann sie schon aus dem Wasser, obwohl man da ja noch aufpassen muss, dass nicht das ganze Wasser ins Maul kommt. Ich habe nach manchem Spaziergang eine schlammige Masse auf dem Fußbrett und zuweilen auch in den Schuhen und Hermine sieht regelmäßig so aus, dass sie als Foto-Model für Tierschutzorganisationen arbeiten könnte. Aber wozu gibt es Handtücher, Dusche und Waschmaschine! Uns macht es Spaß :-)

Woran wir noch arbeiten müssen, ist ihre Jagdleidenschaft. Die ist zum Glück aber deutlich entfernt von meinem früheren Windhund. Nur wenn Hermine das Objekt der Begierde nicht mehr sieht, stöbert sie eben mit der Nase hinterher. Das ist neu für mich. Es ist aber auch sehr verlockend da wo wir spazieren gehen. Alles voll mit Wasservögeln und anderem Getier. Auch noch schwierig sind Hundebegegnugen. Da hatten wir auch schon einen Unfall und es ist sehr nervig, dass andere Hundebesitzer ihre Hunde auch nicht immer zurückhalten.
Und ganz Labrador findet sie unter 5kg Geröll und Moos noch DAS eine Stückchen mumifizierte Pizza von vorletztes Jahr und versucht sogar manchmal Blüten zu fressen, die ihr dann an der Nase kleben bleiben. Einmal kam sie im Park stolz angetrabt und hatte ein Rippchen im Maul. Da hat sie fassungslos geguckt, als die Helferin es ihr abgenommen hat. Wir versuchen jetzt die Ecken zu meiden wo so viele Menschen ihren Müll liegen lassen. Das ist ziemlich ekelig in der Stadt.

Manchmal geht Hermine auch mit meinen Helferinnen Trampelfade ab und kann gucken, was da noch ist. Wenn sie dan zurückkommt springt sie mir vor Aufregung manchmal fast ganz auf den Schoß und „erzählt“ was sie erlebt hat. Auf Mauern muss sie immer draufhüpfen und balancieren und auf Bänke springt sie auh gerne drauf, weil man von da besser gucken und die Nase höher in den Wind recken kann.

Wegen des warmen Wetters hat sie sich auch im Baumarkt ein Planschbecken aussuchen dürfen. Ein Mitarbeiter war so angetan davon, dass er freiwillig und unaufgefordert(!!!) dazukam und half, ein schönes von unten aus dem Stapel herauszuheben. Sonst verstecken sich Baumarktmitarbeiter ja.

Unser Wohnzimmerteppich hat übrigens glücklicherweise genau die gleiche Farbe und Struktur wie Hermines Fell: Helles und dunkles beige und lockig.

Alles zusammen ist sie einfach eine tolle Hündin. Sie lernt unglauchlich schnell, begreift nach wenigen Versuchen mit Zeigestab-Klicker welche Lichtschalter sie drücken muss (aus einer Leiste mit fünf Schaltern übereinander und zwei davon auch noch in links und rechts aufgeteilt), kommt selbst auf Ideen wie sie was lösen kann und überhaupt. Sie kann sogar das Handy suchen ohne dass es klingelt. Das ist eine super Sache für wenn ihr langweilig ist und man sie etwas auslasten will: Einfach Handy verstecken und abwarten. Sie buddelt es sogar unter Decke und Kissen aus.

Sie war auch schon mit mir im Rossmann einkaufen und ich konnte ruhiger bleiben als sonst. Außerdem war sie auch schon mit, wenn ich Vorführpatientin für Studenten bin. Dann wird 1-2 Stunden erklärt und demonstriert und Hermine muss auf ihrer Decke liegen. Aber weil die ganze Zeit schon immer wieder alle zu ihr gucken, durfte sie am Ende frei los und wusste gar nicht wo sie anfangen soll. Da stand sie vor einem Stühle-Halbkreis mit lauter Menschen die ihr „Hallo“ sagen wollten und ging dann nach kurzem Überlegen der Reihe nach durch und das Schwänzchen so am propellern, dass ich froh bin, dass sie nicht weggeflogen ist.

Ich freue mich, dass sie so viel Spaß daran hat im Mittelpunkt zu sein und dass auch Fremde ihr gegenüber so zugewandt sind. Für mich ist das allerdings sehr anstrengend, denn in diesem einen Punkt sind wir beide grundverschieden: Ich mag am liebsten allein sein und Menschen nah an mir dran sind mir schnell so zu viel, dass ich nicht mehr klar denken kann. Und Hermine flirtet aktiv mit jedem, der sie von Weitem anlacht. Aber da werden wir uns sicherlich noch aneinander annähern. Immerhin knurrt sie Menschen an, die mir suspekt sind. Das finde ich ziemlich gut, weil obwohl sie so lieb aussieht, ist sie immer noch ein Hund und wenn sie dann noch bellt sind uns schon einmal komische Gestalten in der Dämmerung aus dem Weg gegangen.

Insgesamt bin ich zwar sehr erschöpft nach dieser Zeit, aber es geht mir auch deutlich besser. Ich brauche weniger Schmerzmittel und die Krämpfe in den Beinen mal sehr stark werden und ich verzweifelt werde, legt Hermine sich schon von sich aus manchmal auf die Beine. Das ist dann eine riesen Hilfe. Oder wenn ich traurig bin und Angst habe, guckt sie viel nach mir und legt ihren Kopf in meinen Schoß oder springt mich an und versucht zu Knutschen. Wenn sie eins nicht mag, dann ist das schlechte Laune. Und sie macht immer wieder irgendwelche Kaspereien und hat einfach kein Schamgefühl. Wenn es gerade juckt, dann kratzt sie sich mit so viel Hingabe, dass ihr komplett die Gesichtszüge entgleiten, grinst bis zu den Ohren und wirft dabei die Stirn in Falten und macht die Augen zu... oder an der Flexileine morgens früh auf dem großen Parkplatz wo sie mit Torsten die erste kleine Morgenrunde dreht, da hat sie sich einfach direkt auf einem Grünstreifen vor dem Büro hingelegt, ausgiebig gedehnt und einmal gewälzt und ihre Morgengsymnastik gemacht. Ein Herr in Anzug und Aktentasche sagte: „Na, der Hund weiß wie das geht. Das würde ich jetzt auch machen wenn ich könnte!“
Sie sorgt immer für Lacher ;-)

Das war jetzt ein langer Bericht, aber noch kein Buch.

Herzliche Grüße,
Clara, Torsten und Hermine

Vielen Dank für die finanzielle Unterstützung von Stefanie Eichel von eichels: Event GmbH