Molly ist wie ein Traum im Wachzustand. Mit ihr ist wirklich alles vorstellbar und möglich. Vielleicht, weil sie so ist, wie sie ist und weil sie nicht darüber nachdenkt, wie sie sein sollte, gelingen ihr Dinge, die ich nie hätte zu träumen gewagt.

Drei Geschichten vom letzten Jahr zeigen, wie Molly unser Leben verwebt mit Menschen, die wir ohne sie nicht näher kennengelernt hätten und die uns und unsere Welt immer weiter wachsen lassen. Ich fang mal mit den kleinen Dingen an.

GESCHICHTE EINS: Wir haben neuerdings einen Garten in Brandenburg, in dem Wildwuchs herrscht. Es muss dort gesägt und geschnitten und gerupft und alles auf einem Haufen gesammelt werden, so lange bis es abtransportiert wird. Dafür haben wir eine Schubkarre gekauft. Diese Schubkarre dient Molly als Lotte-Ersatz.

Es gibt Wochenenden, an denen wir ohne Lotte nach draußen fahren und wenn wir nicht mit Molly den Wald und die Wiesen erkunden, dann ist das Leben für sie ohne Lotte ziemlich still. Tagesfreizeit nennt man das. „Langweilig“, sagt Molly, in dem sie ihr Maul weit aufreißt, ausgiebig gähnt und den Kopf auf die andere Seite ablegt. Sie hat uns lange bei der Gartenarbeit beobachtet, bis sie plötzlich anfing, geduldig neben der Schubkarre statt neben des Rollstuhls herzulaufen und auf den Befehl „bring“ alle heruntergefallenen Gartenreste aufhebt. Das macht sie so auffällig freundlich und konzentriert, dass wir mittlerweile netten Kontakt zu den Nachbar*innen links und rechts des Zaunes haben. Eigentlich mögen sie gar keine Hunde und mit Dazugezogenen reden sie eher selten. Aber Molly neben der Schubkarre finden alle toll. Und uns mittlerweile vielleicht auch ein ganz kleines bisschen. Wir werden im Dorf jetzt von allen gegrüßt, was ohne Molly wahrscheinlich Jahre, wenn nicht Jahrzehnte gedauert hätte.

GESCHICHTE ZWEI: Mollys Wesen ist magnetisch Sie zieht besondere Menschen an und vernetzt uns mit einer Welt, die um uns existiert und die wir ohne sie nicht wahrnehmen können. Weil wir uns keine Zeit nehmen. Weil wir in die falsche Richtung schauen. Oder weil wir die zwischenmenschliche Chemie mit unserer Nase nicht wahrnehmen können.

Zum Beispiel Maja, eine ehemalige Klassenkameradin von Lotte. Lotte und Maja mögen sich schon lange und haben sich während der 12 Schuljahre nie verabredet. Freundschaft ist ein schwieriges Thema in Lottes Leben und die Einsamkeit wie ein Schatten immer präsent. Pandemiebedingt haben wir Eltern uns mehr ausgetaucht als sonst, weil gerade in der Großstadt nichts mehr an Freizeitbeschäftigung stattgefunden hat. Und weil wir so einen besonderen Hund haben, sind wir manchmal attraktiver als andere Familien. Deswegen wollte Maja uns auch treffen. Wegen Molly. Während der gemeinsamen Spaziergängen hat sich Maja in Molly verliebt. Und Molly hat Majas Herz für Lotte geöffnet. Weil Molly sich an Lottes und Lottes Rollstuhl orientiert, möchte Maja jetzt auch einen Rollstuhl haben. Weil Molly in Lottes Bett schläft, möchte Maja jetzt auch bei uns übernachten. Weil Molly so gut hört, reagiert Maja auch viel schneller auf Gesagtes. Weil Lotte so einen spannenden Hund hat, ist Lotte auch irgendwie aufregend geworden. Mit Hilfe von Molly als Vermittlerin, als gemeinsamer Bezugspunkt, als Bindeglied wächst seit diesem Jahr eine zarte Freundschaft zwischen den beiden jungen Frauen. Hellgrün wie die Knospen im Frühling.

GESCHICHTE DREI: Lotte hat keine Ausbildung und keinen Beruf. Tagsüber ist sie mit anderen Menschen mit einer Behinderung in einer Fördergruppe. Dort kochen und basteln sie gemeinsam.Manchmal langweilt sich Lotte dabei ein bisschen. Ihre Augen fangen dann an zu funkeln, wenn sie die Sonderwelt verlassen kann. Das ist ihr großes Glück. Aber was hat das jetzt mit Molly zu tun?

Einmal pro Woche darf Molly mit meinem Freund ins Büro gehen. Das Büro liegt am Kottbusser Tor. Die Hölle auf Erden. Dort muss sie sich gut benehmen können, denn hier ist die Straße gepflastert mit den scheußlichsten und schlimmsten Abfälle für Hunde in ganz Berlin. Mein Freund hat gelernt, sich durchzusetzen und ist mittlerweile attraktiver für Molly als der müffelnde Müll. Und weil Molly sich so gut benehmen kann, ist sie an manchen Tagen bei den Großteamsitzungen, wenn sich alle Kolleg*innen treffen, mit dabei. Sie liegt ganz still in der Mitte und klopft immer wieder mit dem Schwanz oder bellt imTraum, als würde sie einem Feldhasen hinterher jagen. Das ist wirklich nur ein Traum!

Alle im Büro sind so begeistert von Mollys Wesen, dass sie sich wünschen, endlich Lotte kennenlernen zu dürfen. Mollys Lebensaufgabe. Und auch das wird sich bald erfüllen: Lotte ist eingeladen, ihren ersten Praktikumstag in dem Büro machen zu dürfen, mit Teamsitzung und gemeinsamen Mittagessen. Diesen Weg hat Molly ihr ermöglicht. Freie Fahrt in die Mitte der Gesellschaft!

Die Vernetzung der Welt findet durch Molly jeden Moment statt. Grenzen lösen sich auf, Verbindungen entstehen an Orten, die vorher nicht in unserer Welt existiert haben und Menschen richten ihre Aufmerksamkeit auf Lotte, die vorher in deren Welt nicht sichtbar gewesen ist. Das Leben mit Molly ist wie ein Traum im Wachzustand!


Vielen Dank an alle, die uns dieses Glück ermöglichen!

Wir denken viel an Claudia Bodman, deren Herz und Engagement unsere Welt sehr bereichert haben.